6 Krise

Irgendwann ging mir der Zwirn aus. Die musikalische Einsamkeit, die fehlenden Konzerte unterforderten mich und ließen mich stimmtechnisch abbauen. Ich fühlte mich mit meiner Stimme so, als ob ich einen Rolls Royce in der Tasche hätte, für den ich keine Verwendung hab. Auf die Opernbühne geh ich nicht mehr. Also für was dann das Ganze? Wozu Üben? Wohin mich entwickeln?
Das Einzige, was mich immer wieder stoßweise ans Üben brachte, war ein gewisses Pflichtgefühl meiner Vergangenheit gegenüber. Wenn ich nicht übe, dann werden die letzten Jahre so sinnlos. Dann müsste ich mir eingestehn, dass alles, was ich die Jahre gemacht habe, für mein heutiges Leben völlig ohne Bedeutung wäre.
Also hab ich mich immer wieder konfrontiert. Damit, dass mich nichts Frohes, Schönes oder Leichtes zum Üben lockt. Damit, dass ich beim Üben weder ein Konzept noch eine Ahnung hatte, wie es mir Spaß machen könnte. Damit, dass ich unfähig war mit Sackgassen umzugehen und damit, dass ich keinen blassen Schimmer von sinnvollem oder kontinuierlichem Lernen hatte. Da war unglaublich viel Widerstand zu Üben und auch während dem Üben war es energieraubend. Die Welle nach dem Studium ist vollkommen abgeklungen und aus mir heraus konnte ich keine neue erzeugen, denn es war nichts in mir, was Kraft dafür hätte schöpfen können. Woraus Kraft schöpfen? Aus den vielen Stunden den Pflichtgefühls, das für mich mit Üben und Musik verbunden ist? Aus den Stimmen in meinem Kopf? Aus den fehlenden Erwartungshaltungen?
Warum hab ich nochmals begonnen zu studieren? Ist das jetzt alles weg? Ich kann mich an Wochen erinnern, wo mich diese Fragen trafen wie Pfeile. Mein Herz war richtig schwer und Existenzängste waren meine Begleiter. Wenn ich den Spirit meines Berufes nicht spüren kann, warum mach ich das dann überhaupt? Ich war knallehrlich zu mir ohne Rücksicht auf die Schritte, die auf bestimmte Erkenntnisse folgen müssten oder die Leere, die mich manchmal verzehrte und durch meine Fragen noch größer wurde. In dieser Zeit weinte ich viel und funktionierte nur. In die Arbeit gehen war dann sowas wie Pause machen von meiner Ehrlichkeit. Einfach nur mal was abspulen dürfen. Und auch das misslang allzu oft, weil ich diese Leere ja überallhin mitnahm. Und wieder nicht gut unterrichtet. Und wieder….
Ich warf die Musik gedanklich weit von mir. Wenn ich nicht spüren konnte, warum ich Musikerin bin, dann wollte ich keine sein. Ich hab schon einmal eine weitreichende Entscheidung für mein Leben getroffen. Das kann ich auch ein zweites Mal tun. Ich durchforstete das Internet zu den Themen Tierpflegerin und Meeresbiologie. Vielleicht sollte ich einfach komplett neu beginnen.
Was ist wirklich meins? Was will ich auf der Welt erleben, was will ich gerne machen? Musik, dich werf ich weg, denn ich kann dich nicht erfüllen, wenn ich nicht erfüllt bin. Ob du jemals zu mir zurückkommst?