8 Meins finden

Ein Stück war ich schon gegangen. Zwar war alles noch roh und ungeschliffen, aber das tiefste Tal hatte ich überwunden. Schlimmere Existanzängste als die, die ich in den letzten Jahren durchgestanden hab, würden da nicht mehr kommen. Der Entzug war vorbei. Drogen würde ich in diesem Leben nicht mehr brauchen. Auch wenn mein Zugang zur Musik noch krude und viel Wunschdenken war, war da in mir eine Stabilität, die ich nie gehabt hätte, hätte ich mich nicht in der Tiefe so verletzt und leer kennengelernt.

Jetzt war es an der Zeit zu lernen, wie man in einem normalen Leben klar kommt. Was ist mein Ding? Was will ich mal werden, wenn ich groß bin? Mal ausprobieren. Gut Unterrichten und Spaß dran haben stand immer noch ganz oben. Es hat mich tatsächlich nicht verlassen, schon allein weil ich Woche um Woche in die Arbeit ging und sie gut machen wollte.

Die Stimmen, die ich beim Üben im Kopf hatte, gab es auch fürs Unterrichten. Da war es etwas abstrakter, denn es waren Stimmen, die niemals ausgesprochen waren. Es war eine Vorstellung von Stimmen, was mein Umfeld von mir im Unterricht erwartet. Meine Ex-Lehrerin, mein Chef, meine Kollegen. Was würden sie sagen, würden sie mich unterrichten sehen? Ich war froh, dass ich die meiste Zeit alleine war mit meinen Schülern und dass ich vieles ausprobieren konnte in der Zeit. Ich hab mich oft weit aus dem Fenster gelehnt im Unterricht. Darf ich dem Schüler ein Freund sein? Darf ich alles sagen, was ich wahrnehme? Darf ich die professionelle Distanz fallen lassen und einfach ich selber sein? Hui….da gab´s spannende Momente, in denen mein Herz raste, als immer wieder ein kleines Stückchen mehr Gina im Unterricht herausbrach. Es gab viele Nachmittage, die mich unter Strom setzten und ich ganz aufgeregt nach Hause kam, um zu berichten, was ich heute wieder alles ausprobiert und erlebt hab. Mein Unterricht war eine Werkstatt für mich. Davon wollte ich mehr, auch wenn mir dann noch mehr die Muffe ging.

Ich beschloss konsequent Singseminare zu geben und mit den Menschen über die Stimme daran zu arbeiten, was ich selbst auch durchgemacht hab. Ich wollte helfen, dass Menschen zu ihrer Stimme und ihrer Musik fanden. Parallel dazu absolvierte ich eine Musiktherapieausbildung, denn ich wollte nicht nur ins Blaue hinein arbeiten, sondern auch eine gesellschaftliche Absegnung für meine Inhalte. Nicht alle Seminare waren ein Erfolg, aber auch die, die ich verpatzt hatte, gaben mir wahnsinnig viel zu lernen. In dieser Zeit lernte ich jede Menge, aber eines am allermeisten: Egal was passiert…wenn du vorne stehst und Menschen einlädst mit dir mitzukommen, hast du immer genug Sicherheit. Es haut dich nichts um, wenn du unterrichtest.

Diese Sicherheit ist Gold wert und von dem Fett von damals profitiere ich heute noch. Es lässt mich so mutig sein, dass ich mir jetzt sogar vorstellen kann fachfremd zu unterrichten oder meinen nächsten Schritt an die Hochschule zu wagen. Mit Leuten kann ich arbeiten, das steht fest. Das hab ich zu oft erfolgreich erlebt.