Prokrastination – Fluch oder Segen?

Ich wollte ja heute auf der Zugfahrt eigentlich Gehörbildung üben. Irgendwie kams mir aber dann gar nicht so ungelegen, dass es so laut war im Abteil, dass an sinnvolle Gehörbildung kein dran denken war. Glücklicherweise gibt’s im ICE WLAN und so hab ich die eineinhalb Stunden genutzt, Youtube-Aufnahmen zu hören von Stücken, die ich gerade übe oder demnächst anfangen möchte, zu üben. Wollt ich schon lange mal machen…

Zufällig bin ich noch über ein Konzert eines russischen Komponisten gestolpert, das ich nicht kannte. Das Stück kommt auf die Liste mit Stücken, die ich unbedingt mal spielen will. Prima, da hab ich eh noch nach was Neuem gesucht.

Nach der Zugfahrt hatte ich noch 45 min zu überbrücken, die ich dann in einem ruhigen Flur mit Tisch und Stühlen verbracht habe. Eigentlich ideal für ein paar Gehörbildungsübungen. Eigentlich… Aber auf dem Fußweg dorthin ist mir eine Idee für einen neuen Move eingefallen. Die musste ich gleich notieren. Ich hatte da vor kurzem was gelesen, dass es eine gute Methode wäre, wenn man an Aufschieberitis leidet, eine Liste mit zehn kleinen Aufgaben zu erstellen, von denen keine mehr als fünf Minuten braucht, um erledigt zu werden. Man erledigt dann immer die Aufgabe von den zehn, auf die man grad am meisten Lust hat und schreibt dann eine neue dazu. Das lässt sich perfekt in einen neuen Move umwandeln, für das neue Stück, das ich üben möchte.

Also fing ich sofort an. Zwei Aufgaben hatten sich im Vorhinein eh schon wie von selbst erledigt. Ich hab sie trotzdem noch aufgeschrieben. Erstens wollte ich rausfinden, wie viele kleine Schritte notwendig sind, bis ich sagen kann, dass ich das Stück kann und zweitens finde ich es unglaublich befriedigend, erledigte Aufgaben durchzustreichen.

Noten heraussuchen.
Aufnahme des Stücks anhören.

Dann hab ich mir die Noten angeschaut und weitere Aufgaben aufgeschrieben:

Entscheiden: C oder B-Trompete?
Stück durchschauen, ob sich Abschnitte wiederholen.
Vorne zu üben anfangen, mit Timer auf 5 min.
Taktwechsel und Rhythmus bei Abschnitt 19-24 checken.
Dolce Teil bei 15 üben.
Triolenstellen üben.
Sechzehntelstellen üben.

Bis dahin gings ganz schnell, die Liste zu befüllen. Sieben Aufgaben standen jetzt auf der Liste. Ich hab immer noch 35 Minuten Zeit. Jetzt fiel mir grad nix Neues mehr für die Liste ein. Kurzerhand nahm ich die Noten zur Hand und schaute die C- und die B-Stimme durch. Die Entscheidung für die C-Trompete war schnell gefallen. Also konnte ich wieder einen Punkt durchstreichen und weil ich grad dabei war, hab ich mir die Taktwechsel und den Rhythmus von Abschnitt 19-24 auch gleich angeschaut und durchgesungen. Ah, da fehlt ein Taktstrich und schon ist die Sache total übersichtlich. Nächster Punkt durchgestrichen. Läuft 🙂

Entscheiden: C oder B-Trompete?  –> C-Trompete
Taktwechsel und Rhythmus bei Abschnitt 19-24 checken.

In der Zwischenzeit waren mir auch neue Ideen für die Liste gekommen. Jetzt hatte ich die fünf fehlenden Punkte:

Mit einer Aufnahme mitsingen.
Läufe üben.
Rhythmus extra üben.
Hohe Stellen oktaviert üben.
Chromatische Stellen üben.

Verflixt, jetzt hätt ich noch ein paar gute Ideen gehabt, aber die Liste ist voll. Noch 15 Min. Ah ja, ob sich Abschnitte wiederholen, kann ich auch jetzt gleich noch ohne Instrument checken. 3 Seiten ist das Stück lang. Es wiederholen sich genau 3 Takte. Na bravo! Aber ich kann wieder einen Punkt durchstreichen und einen neuen hinschreiben.

Stück durchschauen, ob sich Abschnitte wiederholen.
Versetzungszeichen eintragen an Stellen, wo ich mich immer verspiel.

Atemzeichen eintragen, wär mir auch noch eingefallen. Hat aber grad keinen Platz mehr. Die Wartezeit ist auch um.

Auf dem Rückweg kommt mir die Idee einen Blogeintrag zu schreiben über meine Erfahrungen mit dem ewigen Aufschieben. Gesagt getan. Kaum sitze ich im Zug, schreibt sich der Text wie von selbst. Aber eigentlich wollte ich meinen ersten Blogeintrag schon ewig über meine Erfahrungen mit der Gehörbildung schreiben. Macht nix. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Jemand hat mir mal gesagt „Prokrastination ist, wenn man solange ein Motivationsproblem hat, bis man ein Zeitproblem hat“. Ein Motivationsproblem hab ich grad nicht. Ich kanns kaum erwarten, dass ich endlich heimkomm und mit meiner Trompete das neue Stück spielen kann und neue Listenpunkte durchstreichen und aufschreiben kann. Und irgendwie hab ich heute auf meinem Weg zum und vom Praktikum ganz schön viel geschafft. Vielleicht sollte ich demnächst eine Liste mit Gehörbildung üben und 9 Dingen aufschreiben, auf die ich noch weniger Lust habe. Steuererklärung machen, aufräumen. Da fällt mir sicher noch was ein… Und bis zur Gehörbildungsprüfung ist ja noch lang hin 😉

  5 comments for “Prokrastination – Fluch oder Segen?

  1. Regina Brandhuber
    1. März 2018 at 07:10

    Hammergut. Ich hab sehr gelacht beim Lesen.
    Läuft! Und freut mich sehr für dich, dass es so gut läuft :-).
    Spannend, dass überall Moves lauern, wenn man mal die Move-Brille aufhat.
    Deinen neuen Move finde ich ziemlich inspirierend.
    Danke dafür.

  2. Anne
    1. März 2018 at 11:10

    Ja cool, Regina. Dein Text ist wirklich motivierend! Man spürt die Energie in jeder Zeile 😀

  3. Mark
    1. März 2018 at 17:00

    Da geht was 🙂

  4. Wolfgang
    4. März 2018 at 01:10

    Sehr cooler Text!
    Danke dafür.

  5. Silke
    4. März 2018 at 12:21

    Cooler Text und den Move werd ich mal für meine Zwecke adaptieren 🙂
    Danke!

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