9 Musik?

Jedes Mal, wenn ich gut unterrichtete, so dass es mich selbst begeisterte, war das für mich ein Anker. Oft musste ich mich daran festhalten, denn auf guten Unterricht folgten allzu oft Durststrecken. Aber ich wusste, dass es geht, denn ich hatte es mir selbst bewiesen. Jetzt brauchte ich nur genug Muskulatur aufzubauen, um dauerhaft gutes Niveau zu bringen.
Unterrichten alleine reichte mir aber nicht. Ich wollte nicht nur etwas Flüchtiges machen, sondern etwas, wovon viele Menschen etwas haben. Also habe ich mich entschlossen zu promovieren. Kann man es Entschluss nennen? Am Anfang war es wohl eher ein Traum, den ich mit vielen Pausen dazwischen immer wieder aufgriff und genauso oft liegen ließ mit der zweifelnden Frage: Reicht meine Motivation für so ein großes Projekt aus? Ich wusste, dass ich mit der Promotion vor allen Dingen gesellschaftliche Anerkennung wollte. Meine Vision war nicht Teil meines Alltags. Das war auch der Grund, warum es immer wieder nur stockend voranging.
Und dann war da noch eine Stimme, die nur sehr selten zu mir durchkam und jedesmal, wenn ich sie hörte oder besser spürte, brach ich in Tränen aus, weil sie so schön war. Die Stimme sagte zu mir: „Komponiere, Gina! Komponiere!“ Oh Gott, wie jetzt? Komponieren? Aber das passt doch alles nicht zusammen? Was mache ich dann mit meiner Promotion? Warum spür ich nicht denselben starken Drang zu promovieren wie zu komponieren? Und überhaupt – wie soll das gehen? Ich hab noch nie komponiert. Alles, was ich im Studium darüber gelernt hatte, war aus meinem Geist verschwunden, geschweige denn, dass ich es jemals verinnerlicht gehabt hätte. Ich? Komponieren?
Diese Stimme musste weiß Gott öfter als einmal zu mir durchbrechen, damit ich ihr glauben konnte. Aber jedes Mal war klar: Es spricht eine Stimme, die tief aus mir heraus entspringt. Die Stimme, die ich war und die wusste, warum ich auf der Welt bin. Erklären kann ich es nicht. Ich kann nur sagen, dass es sich jedesmal, wenn ich sie hörte, komplett richtig anfühlte. So wie berührt sein und zu Hause und voller verletzlicher Freude. Das sprengte jedes Mal mein Weltbild.
Zögerlich begann ich Kinderlieder zu komponieren, für meinen Neffen am Klavier und immer wieder für den Familienchor. Irgendwann beschloss ich nur noch selbst komponierte Lieder in den Chor mitzubringen. Hui! Da ging die Post ab. Das war dann natürlich plötzlich wöchentlich viel mehr Arbeit und viel mehr Aufregung für mich vor den Chorstunden. Und es ging vor allem am Anfang auch oft genug in die Hose. Zu krude Ideen. Zu wenig kindgerecht. Aber ich gewann eine Wahrnehmung, was es braucht für einen guten Song und was gute musikalische Ideen sind.
Irgendwann war es dann so weit. Ich fasste mir ein Herz. Es war eine Textstelle für ein Kinderlied, das ich für meinen Familienchor komponierte. Sie hatte mich überzeugt, dass es jetzt losgehen würde:
„Ich bin ein Schlappohrhase,
und leider auch ein Schmusedeckenfan.
Ich bin schnucklig, klein süß und ich hasse
mein Minderwertigkeitsproblem.“
Ich ließ mir keine Rückfallebene und machte einen Termin Ende des Schuljahres für ein Kindermusical fest. Ich hatte gerade mal ein halbes Lied und nur eine grobe Vorstellung von einer Geschichte. Aber das war egal. Im Juni würde mein erstes Werk fertig sein…. hoffte ich.